
Am 10. Juni wurde der Urheber des Messerangriffs in Annecy auf vier intervenierende Kinder und Erwachsene wegen versuchten Mordes angeklagt. In den Stunden und Tagen nach diesem Verbrechen wurden mehrere Stimmen laut die fehlende terroristische Einstufung dieser Taten.
Alle von der Presse gemeldeten Zeugenaussagen zeigen, dass der Angreifer zum Zeitpunkt der Ereignisse tätig war wiederholt, um „im Namen Jesu Christi“ zu handeln. In den letzten Jahren wurden jedoch immer wieder Messerstechereien beschrieben, die von Personen begangen wurden, die behaupteten, im Namen einer Religion – in diesem Fall des Islam – zu handeln Terroristen von den Behörden, ob in Marseille im Oktober 2017, in Straßburg im Dezember 2018, Oder in Nizza im Oktober 2020. Warum wurde diese Qualifikation im Hinblick auf den Anschlag in Annecy ausgeschlossen?
Ein grundsätzlich subjektiver Charakter
Aus rein rechtlicher Sicht erscheint diese Entscheidung durchaus recht regelmäßig. Aber die intellektuelle Ehrlichkeit lädt uns sofort dazu ein, klarzustellen, dass die gegenteilige Entscheidung, die Qualifikation als Terrorist beizubehalten, genauso im Einklang mit dem geltenden Rechtsrahmen gewesen wäre.
Das Charakteristische an dieser Qualifikation ist in der Tat, dass sie einen grundsätzlich subjektiven Charakter aufweist. Gemäß Artikel 421-1 des Strafgesetzbuchs handelt es sich bei einem terroristischen Verbrechen oder einer terroristischen Straftat tatsächlich um eine Straftat nach Gewohnheitsrecht – wie etwa Mord, Entführung oder sogar Zerstörung durch Feuer –, die jedoch „im Zusammenhang mit einem individuellen oder kollektiven Unternehmen steht, dessen Zweck es ist die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror ernsthaft zu stören“.
Eine Definition, die den Strafverfolgungsbehörden einen erheblichen Ermessensspielraum bietet. Die Definition dessen, was die öffentliche Ordnung ernsthaft stört und was nicht, erfordert bereits einen zwangsläufig subjektiven Ansatz, abhängig von der relativen Sensibilität der Behörden – und der Medien – gegenüber dieser oder jener Straftat. Aber die Feststellung, ob die Person auch die konkrete Absicht hatte, andere durch ihre Geste einzuschüchtern oder zu terrorisieren, führt zwangsläufig zu Willkür.
Sofern die Handlung nicht eindeutig als solche behauptet wird, wird die Charakterisierung einer solchen Absicht dann zwangsläufig nicht auf objektiven, sondern bestenfalls kontextbezogenen Elementen oder, noch schlimmer, auf der durch die Tatsachen hervorgerufenen Emotion beruhen. , a fortiori wenn letztere stark publiziert werden.
Es ist also so, dass nach dem Trauma Aufgerüttelt durch die Anschläge vom 13. November 2015 wurden Tausende von Menschen auf der Grundlage besonders vager Verdächtigungen, der Realität ihrer Beteiligung, durchsucht in einem möglichen Terrorprojekt nur in weniger als 1 % der Fälle nachweisbar. Letztlich birgt die Einstufung einer Straftat als terroristische Straftat somit zwangsläufig eine Willkür in sich.
Eine heikle Situation
Diese Situation bringt aus demokratischer Sicht mehrere Schwierigkeiten mit sich. Erstens setzt es uns dem Risiko willkürlicher oder zumindest unverhältnismäßiger Repression aus. Natürlich gibt es Verbrechen, deren wirklich „terroristische“ Dimension in der Praxis nicht zum Tragen kommt keine ernsthafte Diskussion, wie die Anschläge in New York am 11. September 2001.
Es muss jedoch bedacht werden, dass es sich bei den meisten Taten, die heute als Terrorakte geahndet werden, nicht um eindeutig behauptete Massenmorde oder gar Straßenangriffe vereinzelter Personen handelt, sondern um Taten der Beteiligung an Gruppen, die im Verdacht stehen, Anschläge zu planen – und als solche qualifiziert sind als Vereinigungen terroristischer Krimineller. Unter dieser Qualifikation vermuten beispielsweise die meisten Menschen, dass sie zurückkehren oder dorthin wollen Syrien als dieses Gebiet teilweise unter der Kontrolle der Organisation Islamischer Staat stand.
Aber wie lässt sich dann, ohne das Risiko einzugehen, in Willkür zu verfallen, den Wunsch charakterisieren, einzuschüchtern oder zu erschrecken? erst im Stadium der Vorbereitungshandlungen ? Hervorzuheben ist auch, dass diese Gefahr der Willkür nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Rechte der verfolgten oder verdächtigten Personen eine Schwierigkeit darstellt. Durch die unverhältnismäßige Verlängerung des Strafnetzes kommt es auch zu einer mögliche Streuung repressiver Kräfte Dies beeinträchtigt ihre Fähigkeit, rechtzeitig auf bewährte Angriffspläne zu reagieren.
Das Risiko der Stigmatisierung
Zweitens birgt der allzu formbare Charakter der Qualifikation als Terrorist auch die Gefahr eines diskriminierenden Vorgehens der Behörden gegenüber dieser Art von Kriminalität. Wie lässt sich tatsächlich rechtfertigen, dass angesichts einer ähnlichen Vorgehensweise Taten, die im Namen einer Religion begangen werden, als solche qualifiziert werden, während dies bei Taten, die im Namen einer anderen Religion begangen werden, nicht der Fall ist? Seit vielen Jahren engagieren sich internationale Organisationen wie die Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte oder Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International warnen:
„Die Diskriminierung von Muslimen im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung in Europa hat dazu beigetragen, ein Umfeld zu schaffen, in dem sie stärker exponiert sind Hassreden und Angriffe. ""
Eine Situation, die nicht nur an sich ein Problem darstellt, sondern auch wegen der paradoxen Rolle, die eine solche Stigmatisierung bei der Hinwendung junger Menschen zu krimineller Gewalt spielen kann, die einen Islam ebenso mythologisiert wie von anderen dämonisiert sehen Möglichkeit, ihren Wunsch nach sozialer Rache zu verstehen.
Den Rechtsbegriff verschärfen
Deshalb erscheint es nun notwendig, wenn nicht über seine Abschaffung, so doch über eine Verschärfung des Rechtsbegriffs des Terrorismus nachzudenken, um dessen Willkürpotenzial zu begrenzen. Dabei geht es keineswegs darum, die Behörden ihrer Handlungsmöglichkeiten zu berauben, sondern ganz im Gegenteil darum, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich wieder auf erwiesene kriminelle Pläne zu konzentrieren, die umso besser gewarnt sind, wenn ihre Identifizierungskriterien strenger definiert werden.
In dieser Hinsicht bietet das Recht der Europäischen Union einige interessante Möglichkeiten. Die Richtlinie vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung tatsächlich definiert terroristische Straftaten deutlich präziser als das französische Recht als solche, deren Zweck darin besteht, „eine Bevölkerung ernsthaft einzuschüchtern“, „öffentliche Behörden oder eine internationale Organisation in unzulässiger Weise dazu zu zwingen, eine Handlung auszuführen oder zu unterlassen“ oder „schwerwiegend zu destabilisieren oder die grundlegenden politischen, verfassungsmäßigen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation zerstören“.
Die europäische Definition erstreckt sich nicht potenziell auf jede als Terrorismus wahrgenommene Handlung, sondern beschränkt sie vielmehr das Konzept nicht nur für Handlungen von besonderer Schwere – insbesondere indem Handlungen vorgeschrieben werden, die sich ausdrücklich nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen eine bestimmte Personengruppe richten –, sondern auch für Handlungen, die direkt oder indirekt darauf abzielen, Druck auf die Behörden auszuüben. Vor dem Hintergrund einer solchen Definition wären Angriffe, die ohne ausdrückliche Behauptung, auch mit religiöser Prägung, begangen werden, nicht mehr als Terrorismus einzustufen.
Eine solche Neudefinition würde der repressiven Macht keineswegs die Mittel zur Sanktionierung dieser Art von Straftaten entziehen, sie wäre lediglich kraft des einfachen Rechts vorhanden. Es würde auch nicht den Rückgriff auf besonders gründliche Ermittlungsmaßnahmen spezialisierter Dienste verhindern, wenn es um Straftaten oder Vergehen geht, die zwar nicht mehr unter den Begriff des Terrorismus fallen, aber trotzdem weiterhin in einer organisierten Bande begangen werden – die Ermittlungsregelung, die auf terroristische Handlungen anwendbar ist einziger Ablehnung eines Regimes, das auf die organisierte Kriminalität anwendbar ist. Durch die Beschränkung auf die schwersten Taten, auf solche, die die sozialen Strukturen einer Nation tatsächlich destabilisieren, würde es andererseits möglich sein, die symbolische Verurteilung dieser Art von Verbrechen zu verstärken, während ihre Verallgemeinerung im Gegenteil zur Bagatellisierung tendiert es gefährlich.
Vinzenz Sizaire, Lehrbeauftragter, Mitglied des Zentrums für Strafrecht und Kriminologie, Universität Paris Nanterre - Universität Paris Lumières
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